Gedanken eines ganz Großen über Idealismus, Teil II

"Das Wissen vom Leben, das wir Erwachsene den Jugendlichen mitzuteilen haben, lautet also nicht: die Wirklichkeit wird schon unter Euren Idealen aufräumen, sondern: wachset in Eure Ideale hinein, dass das Leben sie Euch nicht nehmen kann.

Wenn die Menschen das würden, was sie mit vierzehn Jahren sind, wie ganz anders wäre die Welt!

Als einer, der versucht, in seinem Denken und Empfinden jugendlich zu bleiben, habe ich mit den Tatsachen und der Erfahrung um den Glauben an das Gute und Wahre gerungen. In dieser Zeit, wo Gewalttätigkeit, in Lüge gekleidet, so unheimlich wie noch nie auf dem Thron der Welt sitzt, bleibe ich dennoch überzeugt, dass Wahrheit, Liebe, Friedfertigkeit, Sanftmut und Gütigkeit die Gewalt sind, die über alle Gewalt ist. Ihnen wird die Welt gehören, wenn nur genug Menschen die Gedanken der Liebe, der Wahrheit, der Friedfertigkeit und der Sanftmut rein und stark und stetig genug denken und leben.

Alle gewöhnliche Gewalt beschränkt sich selber. Denn sie erzeugt Gegengewalt, die eher früher oder später ebenbürtig oder überlegen wird. Die Gütigkeit aber wirkt einfach und stetig. Sie erzeugt keine Spannungen, die sie beeinträchtigen. Bestehende Spannungen entspannt sie, Misstrauen und Missverständnisse bringt sie zur Verflüchtigung, sie verstärkt sich selber, indem sie Gütigkeit hervorruft. Darum ist sie die zweckmäßigste und intensivste Kraft.

Wenn ein Mensch an Gütigkeit in die Welt hinaus gibt, arbeitet er an den Herzen und an dem Denken der Menschen. Unser törichtes Versäumnis ist, dass wir mit der Gütigkeit nicht ernst zu machen wagen. Wir wollen die große Last wälzen, ohne uns des die Kraft verhundertfachenden Hebels zu bedienen.

Eine unermesslich tiefe Wahrheit liegt in dem phantastischen Worte Jesu: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen."

Aus: Das Albert Schweitzer Lesebuch, S. 58

 

Namaskar Jah Love