Kulturzeit: "Reich an Erfahrung Neue Lebens-Modelle für ältere Menschen"


Wir haben gestern in der wunderbaren täglichen Sendung "Kulturzeit" (Mo-Fr. 19.20 Uhr auf 3sat) einen tollen Film gesehen, der uns alle inspirieren kann. Hier der Text, den wir auf der Kulturzeit-Seite gefunden haben. Es gibt ein sehr interessantes Buch über das Thema, das im Film vorgestellt wird. Schaut euch daher auch den Film an! Hier ist der Link zu Buch und Film:
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/162267/index.html

Wir unterstützen aus tiefstem Herzen diese wunderbaren Innovationen und hoffen, dass es bald viele Mehrgenerationen-Häuser in Deutschland und anderswo gibt!

Euer tageschance-team

Hier der Text:

Kulturzeit, Do, 3.5.12:

Reich an Erfahrung
Neue Lebens-Modelle für ältere Menschen


Immer mehr Menschen werden immer älter - ein demografisches Problem angesichts der Tatsache, dass die deutsche Bevölkerung insgesamt schrumpft. Doch es stellt auch ein bisher weitgehend unterschätztes Potenzial dar, wenn man einmal bedenkt, dass die heutige Seniorengeneration überwiegend gut ausgebildet, materiell abgesichert, körperlich und geistig fit ist. Das Buch "Wir brauchen Euch!" zeigt, "Wie sich die Generation 50plus engagieren und verwirklichen kann".
Jung und Alt zusammen: Großfamilien-Gefühl hat inzwischen Seltenheitswert. Längst ist klar, dem demografischen Wandel muss gesellschaftliches Umdenken folgen: weg vom Wohlfahrtsstaat hin zu mehr zivilgesellschaftlicher Eigenverantwortung. Hildegard Schooß ergriff schon Ende der 1970er Jahre Eigeninitiative: Sie gründete das erste Mehrgenerationenhaus Deutschlands in Salzgitter nach dem ihr vertrauten Modell der Großfamilie. Das isolierte Kleinfamilienleben genügte ihr einfach nicht.

Ein Raum für Jung und Alt
"Die Vereinzelung von Menschen tut nicht gut - weder den Kindern noch den Erwachsenen noch den alten Menschen", so Hildegard Schooß. "Ich hatte damals die Idee: Wir brauchen einen Raum, der zentral liegt, wo alle zu Fuß hingehen können, wo man schnell sein kann, wo man aber auch immer sein kann, der also von morgens bis abends offen ist und wo jeder Mensch, der mitmachen wollte, zu jeder Zeit auch dabei sein konnte."

Bis heute kann dort jeder zu jeder Zeit dabei sein. Inzwischen ist das offene Haus Vorbild für 500 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland. Gefördert wird es von der Bundesregierung. Das Erfolgsgeheimnis heißt: keine starren Öffnungszeiten, kein fester Stundenplan. Das schafft Raum für Begegnungen, denn Verantwortung entsteht durch Beziehung. Die meisten engagieren sich freiwillig, viele davon sind selbst schon Rentner. Es ist ein Zukunftsmodell. Zu mehr Engagement im Alter will auch das Buch "Wir brauchen euch!" motivieren.

Abnahme der Bevölkerung
Auch Freiwilligenarbeit müsse in Zukunft als Arbeit anerkannt werden.
"Die demografische Herausforderung, die uns allen bevorsteht", so der Autor Loring Sittler, "und die wir nur gemeinsam bewältigen können - also Staat, Wirtschaft und Gesellschaft - ist durch ein Merkmal besonders gekennzeichnet: die Abnahme der Bevölkerung insgesamt. Wenn man das auf Erwerbstätige reduziert, nehmen wir bis 2030 um 8,3 Millionen Erwerbstätige ab. Das ist eine riesige Lücke. Wir brauchen einen neuen Arbeitsbegriff. Er muss sich von der Erwerbsarbeit lösen, mit dem er monolithisch zurzeit identifiziert wird. Und der Arbeitsbegriff muss auf Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Freiwilligenarbeit erweitert werden."

Freiwillig mitarbeiten, vor allem aber gemeinsam alt werden, das wollen die Initiatoren der Wohnanlage "Ginkgo Haus" in Langen. Das private Projekt ist nicht nur ein Treffpunkt wie das Mehrgenerationenhaus, sondern ein Zuhause. 28 Rentner leben hier, in eigenen Wohnungen und doch gemeinsam. Auch eine Demenz-WG gehört zum Haus. Die gesunden Alten verbringen Zeit mit den kranken - ob beim gemeinsamen Kochen, Singen oder Vorlesen. "Wir haben das Haus gewollt, um unsere 'späte Freiheit' zu genießen", sagt Egbert Haug-Zapp. "Aber wir wollten uns auch nichts darüber vormachen, dass die vermutlich ihre Grenzen finden wird und dass uns Hilfsbedürftigkeit, Pflegebedürftigkeit, möglicherweise Demenz und ganz sicher Sterben nicht erspart sein wird. Und dass wir, wenn wir im Alter zusammenziehen, so bauen wollen, dass diese Stationen nicht zu Katastrophen werden, die jeder einzeln bewältigen muss."

Soziales Miteinander braucht Freiheit
"Es ist Teil des Konzepts, dass wir das, was wir über Jahrzehnte getan haben, nicht mit der Pensionierung ad Acta legen, sondern weiter einbringen", sagt Ernst-Günther Kusch. Und Helga Trösken berichtet: "Wenn ich für 20 Leute 16 Kilo Kohl koche, dann ist das vielleicht ehrenamtlich, aber mir macht es Spaß und den anderen schmeckt es. Das ist unser Leben, diese Selbstverständlichkeit im Alltag ist besonders schön. Insofern ist Ehrenamt für uns der falsche Begriff." Soziales Miteinander braucht Freiheit statt Verordnungen. Der Begriff Ehrenamt ist längst nicht mehr zeitgemäß. Anders als im alten System, arbeiten die Freiwilligen in Salzgitter zusammen mit Angestellten auf Augenhöhe in einem Team. Demenzkranke und Kinder sind nur durch einen Flur getrennt. Die Welten mischen sich. Bürgerschaftliches Engagement kann nur abseits von festgefahrenen Hierarchien und technokratischem Schubladendenken entstehen.

Im Mehrgenerationenhaus profitieren Jung und Alt voneinander.
"Immer werden wir gehalten, die Menschen in der Gesellschaft einzusortieren und in Schubläden zu stecken", sagt Hildegard Schooß. "Professionell reden wir dann von einem versäulten System. Es gibt die Säule für die Kinder, für die Jugendlichen, Gymnasiasten, Hauptschüler, für die Alten, die Gesunden, die Kranken. Und wir haben die Philosophie: Wer zur Tür hereinkommt, ist ein Mensch. Er wird auch als Mensch wahrgenommen - ob er ein Mann ist, eine Frau, ob gesund oder krank. Das stellt sich vielleicht hinterher heraus. Deshalb ist das Angebot, das wir machen: Kommt zusammen und äußert eure Bedürfnisse."

"Vom Konsum allein nicht glücklich"
Der demografische Wandel erfordert einen Mentalitätswandel. Die Politik muss nicht mehr Geld zur Verfügung stellen, sondern ihre Verteilungsmuster ändern, damit Zukunftsprojekte wie das "Ginkgo Haus" für mehr Menschen bezahlbar werden. Die neuen Alten sehen ihre Erfüllung schon lange nicht mehr nur auf Golfplätzen und Kreuzfahrtschiffen. "Die Leute merken, dass man vom Konsum allein nicht glücklich wird", sagt Loring Sittler. "Und deswegen suchen sie nach einem Sinn. Das kann ein Studium oder Meditation sein. Aber in vielen Fällen führt das zu einem sozialen Engagement, weil das beglückend ist, mit anderen Menschen zusammen zu sein, auch Alte mit Jungen - also generationsübergreifende Modelle, gerade für Leute, die keine Kinder oder Enkel haben. Das ist unglaublich wichtig für ihr eigenes Leben, weil sie dadurch ihren eigenen Lebensmut wiedergewinnen und auch Lebensqualität erhalten." Die Bereitschaft für ein neues Miteinander ist da. Wichtig ist es jetzt, Engagierte und Engagement zusammenzubringen."

Vielen Dank, liebe "Kulturzeit"-Redaktion für diesen tollen Film!
das tageschance-team